„Wiener Grätzl Branding“ – ein Projekt der „Angewandten“

Wie können Ansätze aus Markenführung und Design in der urbanen Stadtentwicklung zur positiven Entwicklung von Grätzln aussehen? Welchen Kriterien sollen sie folgen? Diesen Fragen zum Thema Branding ging die Klasse für Grafikdesign von Prof. Oliver Kartak an der Universität für Angewandte Kunst Wien unter Leitung von Brainds-Managing Partner Oliver Heiss auf den Grund.

 

Unter dem Motto „Wiener Grätzl Branding“ wurden die Studierenden der Klasse für Grafik Design an der Universität für angewandte Kunst Wien (Klasse Kartak) gebeten, Konzepte für eine zukunftsgerichtete, Stadtteilentwicklung (urban neighbourhood branding) zu erarbeiten, die nicht nur das Gemeinwohl stärkt, sondern auch die Identität bewahrt. Die Studierenden nahmen in Kleingruppen insgesamt sieben Wiener Stadtviertel (auf Wienerisch: „Gretel“) in den Blick und entwickelten für diese höchst bemerkenswerte Lösungen.

Interview mit Oliver Kartak (OK) und Oliver Heiss (OH) über das Projekt, bei dem Branding, Grafik und Social Design nahtlos ineinander flossen.

Wie entstand die Idee, der „Klasse Kartak“ ein Neighbourhood-Branding-Projekt vorzuschlagen?
OH: Oliver Kartak hat mich gefragt, ob ich nicht mit ihm und seinen Studentinnen und Studenten ein gemeinsames Projekt im Bereich Branding machen möchte. Und da war mir schnell klar, dass es kein „klassisches“ kommerzielles Thema sein kann, sondern eines, das einen kulturellen und – idealerweise – auch einen sozialen Kontext haben soll. Und da mich schon lange die Frage beschäftigt, wie man durch den bewussten Umgang mit Identität und kreativen, designerischen Ansätzen zu einer innovativen, positiven Stadtentwicklung beitragen kann, habe ich die Idee des Grätzl-Branding vorgeschlagen, also Stadtentwicklung auf Mikroebene.

Gab es bestimmte Auswahlkriterien für die Grätzeln, die die Studierenden bearbeiten durften/mussten?
OH: Wichtig war, den Studierenden möglichst wenig Limitierungen und Grenzen zu geben. Wir wollten ihre Erkenntnisse erfahren und nicht schon formend vorgeben. Deswegen war es den einzelnen Gruppen überlassen, ihr jeweiliges Grätzl selbst zu identifizieren und zu definieren. Natürlich mussten die einzelnen Projekte am Ende gewisse Formalkriterien wie etwa  Abgrenzbarkeit, definierende Charakteristika etc. erfüllen. Trotzdem hat sich gezeigt, dass es auch da spannende Interpretationsspielräume gab.

Wie wurden die Studierenden mit der komplexen Aufgabenstellung, die ja auch soziokulturell sensible Themen beinhaltete, vertraut gemacht? Hatten Sie nicht Sorge, dass sie damit überfordert sein könnten?
OK: Die Studierenden erhielten ein genaues Briefing, eine intensive Vorbesprechung und kontinuierliche Begleitung. Gleichzeitig hat Erwin K. Bauer, ebenfalls Lehrender an der Abteilung Grafik Design, das Projekt in seiner Lehrveranstaltung, z.B. mit Stadtwanderungen, unterstützt. Die Studierenden wurden beauftragt, mit den Gebietsvertretungen, dem lokalen Handel und den Bewohnerinnen und Bewohnern der jeweiligen Grätzln zu sprechen und ihre Bedürfnisse festzustellen. Was die Zumutbarkeit der Aufgabenstellung angeht: Als Professor glaube ich an die Kraft der Überforderung, weil Studierende nur durch scheinbar übermächtige Herausforderungen Leidenschaft und Erfolg erleben können.

Die Branding Konzepte mussten innerhalb von nur acht Wochen ausgearbeitet und in Form eines Kurzfilms präsentierfähig sein. Wie haben Sie Ihre Studierenden motiviert, diesem enormen Druck Stand zu halten?
OK: Die Motivation der Studierenden war von Anfang an hoch. Es gab eine allgemeine Begeisterung, sich mit der eigenen Stadt auseinanderzusetzen, sie auf eine neue Art zu entdecken und zu erforschen. Der überschaubare Projektzeitraum war hilfreich, dabei den Fokus und den Schwung zu behalten.

Mit welchen Projektschritten haben sich die Studierenden leicht getan? Mit welchen hatten sie mehr zu kämpfen?
OH: Uns war eine intensive Auseinandersetzung mit dem Stadtviertel wichtig. Wir wollten , dass die Studierenden hinausgehen, die Stadt spüren, mit den Menschen reden, sich informieren. Ohne Empathie entsteht kein gutes Design. Und je tiefer die Studierenden in die Materie eingesunken sind, desto schwieriger wurde es oft, aus dem Nachdenken in die konkrete Ideenfindung zu kommen, also ins Tun. Dieser Wechsel des Fokus war für einige Gruppen nicht ganz einfach.

Sind Sie beide mit den Ergebnissen zufrieden?
OK: Die Projekte zeigen eine große Bandbreite an unterschiedlichen Ansätzen und Lösungsvorschlägen. Manche fokussieren auf bereits bestehende Grätzln, andere definieren städtische Bereiche ganz neu als Grätzln. Alle Projekte zeichnen sich durch ein fundiertes Konzept und eine unverwechselbare Gestaltung aus. Selbstverständlich haben alle Projekte das Potenzial, noch genauer ausgearbeitet zu werden. #

OH: Mich hat wirklich beeindruckt, wie viel Engagement und Verve sich die Studentinnen und Studenten ins Zeug gelegt haben. Die Ergebnisse sind dann auch entsprechend vielfältig: Inhaltlich wie designerisch spannende Ansätze und Überlegungen, wie mit Design und Branding ein Beitrag zu so unterschiedlichen Themen wie Integration, Kultur- und Sprachenvielfalt, soziales Community-Building oder Leerstands-Zwischennutzung geleistet werden kann.

Wie war die Stimmung in Ihrer Klasse während des Projektes? Wie ist der Nachhall?
OK: Die Stimmung war ausgezeichnet! Und nach der erfolgreichen Schlusspräsentation vor internen und externen Gästen war der Stolz der Studierenden auf ihre Arbeit richtig spürbar. Wir haben die Projekte auch der amtierenden Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou im Rathaus vorgestellt und wichtige Kontakte zur Lokalpolitik geknüpft. Ebenso wurden die Redaktionen der Bezirkszeitungen informiert, die sich begeistert zeigten. Der ORF hat die Projekte im Rahmen der Sendung „Wien Heute“ ebenfalls vorgestellt.

Welche konkreten Learnings für ihre spätere Berufspraxis konnten Ihre Studierenden mitnehmen?
OK: Die Lernziele beim Grätzl-Projekt sind kongruent mit den allgemeinen Lernzielen der Arbeiten in der Klasse: Teamwork, Recherche, Konzept und Strategie, Prototypen, Ausarbeitung, Präsentation. Besonders wichtig war im gegebenen Fall die Fähigkeit zur Empathie, um die Ergebnisse der eigenen Arbeit an den Bedürfnissen anderer zu orientieren.

Welches Semesterprojekt steht als nächstes am Programm?
OK: Bis zur Eröffnung unserer Show bei der Essence 2017 Ende Juni herrscht darüber Stillschweigen! (lacht)

Oliver Kartak
geboren 1968 in Wien, arbeitet seit über 25 Jahren in den Bereichen Markenentwicklung, Kommunikationsdesign, Fotografie und Regie. Seit den frühen 1990er Jahren schuf er zahlreiche TV Corporate Designs, darunter VIVA, VIVA 2, Premiere, Red Bull Mobile, Viasat, ORF eins, ORF drei und ORF 2 Kultur. 1996 gründete er sein eigenes Studio für Arbeiten in der Musikindustrie, Fernsehen, Werbung und Fotografie. 2006 drehte er seinen ersten Fernsehspielfilm als Autor und Regisseur. Seit 2007 ist Oliver Kartak Professor der Klasse für Grafik Design und seit 2011 Vorstand des Instituts für Design an der Universität für angewandte Kunst, Wien.

www.klassekartak.com

Stuwer – Ein Grätzl wächst zusammen



Das Stuwerviertel liegt zwischen Praterstern, Mexikoplatz und Messe Wien. Ein Grätzl zu sein bedeutet einander zu kennen, zu helfen und gemeinsam zu feiern. In der Grätzlzeitung „Stuwer“ werden in vier Sprachen (DE, TR, BKS, EN) Nachbarinnen/Nachbarn vorgestellt und Themen des Grätzls behandelt. Mit der Facebook-Gruppe wird den Menschen eine Plattform gegeben, einander zu helfen: von Katzen hüten bis zum Werkzeug ausleihen.

Zu jeder Ausgabe des „Stuwers“ gibt es ein Grätzlfest. Dort wird ein Ort geschaffen an dem die BewohnerInnen einander kennenlernen können.

Students: Paul Icard, Carina Stella, Rebecca Wenig, Jakob Zerbes

Sonnwendviertel – miteinander leben



Im größten innerstädtischen Entwicklungsgebiet Wiens entsteht das am Hauptbahnhof gelegene Sonnwendviertel. Bis 2020 wird es Heimat für 13.000 Menschen sein. Wo eine neue Wohnbaulandschaft entstanden ist und entstehen wird, soll auch eine aktive Gemeinschaft einziehen. Durch Interaktion und Initiative der Bewohner/innen können vielfältige Events und Projekte realisiert werden. Bei vielen, über das Jahr verteilte Veranstaltungen, sei es Picknick, Sommerfest oder Freiluftkino sollen die Bewohner/innen zusammenwachsen. Denn im Sonnwendviertel wird das Miteinander gelebt.

Students: Viktor Földi, Paula Hummer, Marion Müller, Linus Merlin Resch

Wien Mitte – Reclaiming Mitte



Der Ausbau der Universität für angewandte Kunst Wien ist Anlaß, dem Viertel Wien Mitte ein neues Image und eine neue Funktion zu verleihen.

Statt Bahnhof und „The Mall” werden MAK, Angewandte und Stadtpark zu Wahrzeichen des Viertels. Aus einem Ort des Konsums und Durchzugs wird ein Raum für Kunst, Kultur und Erholung. Hier stattfindende Prozesse werden von innen nach außen getragen. Sie erzeugen Neugier durch Irritation. MI+TE Leitsystem, MI+TE Terrazzo und MI+TE Pavillon sind Maßnahmen, dieses Viertel neu zu erleben.

Students: Jakob Brix, Jana Frantal, Benjamin Zivota

mein kleinmargareten



Kleinmargareten ist ein kleiner Teil des 5. Wiener Gemeindebezirks. Dieses Grätzl um den Margaretenplatz ist dynamisch, vielfältig und besitzt das Lebensgefühl eines kleinen Dorfes. Ein wesentlicher Teil der Narration ist die Initiative „mein klein“, mit dem Ziel, Menschen zusammenzubringen, das Gefühl der Gemeinschaft zu stärken und die authentische Atmosphäre des Grätzls zu bewahren.

Students: Julie Guillem, Aya Shalkar, Marianne Stålhös

Das Meisel – Das Meiseljahr dauert 15 Monate



Das Meiseljahr ist ein temporäres Branding mit langfristiger Wirkung – für ein alteingesessenes Grätzl mit neuem Namen. Geplant sind viele kleine Veranstaltungen und langfristige Interventionen. Während des Jahres baut die wandernde Meiselzentrale Leerstände in Gemeinschaftsräume um.
Das Meisel feiert sich selbst und seine Menschen. Ziel ist es, Gemeinschaftlichkeit zu stärken, Offenheit zu leben und Realness zu bewahren. Ein Jahr mit 15 Monaten – von der Nachbarschaft für die Nachbarschaft.

Students: Sebastian Kubik, Christina Schachinger, Frances Stusche

Josefstadt – Neue Wege gehen



Die Josefstadt ist der kleinste und lebenswerteste Bezirk Wiens. Ihr neues Branding lädt ein – mithilfe der Josefstädter/innen – dutzende wenig bekannte Kulturangebote, Gaststätten und Läden des Hiebs aufzuspüren.

Dafür wählen die Josefstädter jährlich ihre Favoriten aus den Kategorien »SPEIST«, »TRINKT«, »BUMMELT« und »VERGNÜGT«. Mithilfe dieser Auswahl entstehen Bezirkskarten, Bodenbeschilderungen, saisonale Events und Preisverleihungen mit dem Ziel, den Besucherinnen/Besuchern der Josefstadt die Insidertipps des Bezirks näherzubringen.

Students: Hilal Avci, Pauline Louise Noémie Jocher, Ejla Mileti?, Mato Vinceti?

Herzstücke im Karmeliterviertel



Acht ungenützte Plätze im Karmeliterviertel werden zum Schauplatz eines monatlichen Programms mit Konzerten, Festen, Workshops, Spiel, Sport und Spaß. Zentrale Rolle für die Belebung des öffentlichen Raums spielt das „Herzstück”, ein mobiles Möbel, dessen modulares Design vielfältige Anwendungen ermöglicht. Verwendbar als Sitzmöbel, Markttisch, Bar, Stehtisch, Tribüne oder Bühne macht es die leeren Plätze im Karmeliterviertel zu Orten der Begegnung und Kommunikation.

Students: Sarah Borinato, Roman Buchberger, Rita Sammer