Marketing in Zeiten von Corona

5 Fragen an Michael Pollaschak,
Director Content & Dialogue Marketing bei Austrian Airlines
1. Betrachtet man die Lage, was ändert sich im Bereich Content & Dialogue Marketing bei Austrian Airlines? Haben sich Stellenwert oder Anwendungsfelder verändert?
Die Lage des Unternehmens ist aufgrund der weiterhin großflächigen, teilweise auch kurzfristigen, Reisebeschränkungen ernst. Wir haben im kommenden Winter beispielsweise nur etwa 10 % unserer üblichen Kapazität im Markt und entsprechend geringere Einkünfte. Eine herausfordernde Situation, mit der unsere Netzplanung seit mehreren Monaten konfrontiert ist. Viele unserer Kundinnen und Kunden haben so in den letzten Monaten mitunter eine emotionale Berg- und Talfahrt durchgemacht.
Für uns im Marketing hat dieser Umstand selbstverständlich Auswirkungen auf unsere Strategie und die Ausrollung der Marketingkommunikation. Insbesondere das veränderte Kundenverhalten und dem damit in den Vordergrund gerückten Bedürfnis nach Zuverlässigkeit, Sicherheit und Vertrauen. Aber natürlich auch anders gewichtete Motive.
Wir sehen, dass Content- und Informationsmarketing sowie der Kundendialog besonders im Bereich der Sozialen Medien und im Bereich der Vielflieger/innen klar in den Vordergrund gerückt sind. Neben der technologischen Komponente, die wir selbstverständlich zur Verteilung unserer Inhalte und zum Dialog weiterentwickelt haben (und auch dynamisch weitertreiben werden), ist der Kern unserer Marketingkommunikation eine stringente, relevante und emotionale Storyline. Wir setzen auf authentischen, informativen, unterhaltsamen, interaktiven und menschlichen Content. Je nachdem, welches Bedürfnis der Mensch gerade hat, wollen wir mit dem passenden Content unterstützen und das Leben einfacher machen.
Ich persönlich empfinde die letzten Monate sehr stark als Rückenwind für den von uns eingeschlagenen Weg in der Marketingkommunikation. In meinen Augen ist vieles nun deutlich dynamischer und Entscheidungen werden schneller getroffen. Wir sind nun mutiger, setzen vieles umgehend um, messen, lernen und verbessern unsere Marketingkommunikation iterativ. Das führt dazu, dass wir immer wieder auch Benchmark für unsere Konzernmutter sind – besonders im Bereich der digitalen Marketingkommunikation und sozialen Medien.
Ich freue mich über die Dynamik, die wir derzeit erleben.
2. Was war aus Ihrer Sicht die größte Herausforderung zu Beginn der Krise in Hinblick auf die Marketingkommunikation von Austrian Airlines?
Die neue Situation in der gesamten Welt. Wie bei vermutlich allen Unternehmen, haben die neuen Bedingungen unser etabliertes System, unsere bekannten Prozesse und unsere Strategien von Grund auf infrage gestellt. Das soziale Leben im Team, unsere Perspektiven und auch unser Privatleben haben sich schlagartig verändert. Viele Menschen empfinden dadurch naturgemäß Verunsicherung, Angst und reagieren oft unberechenbar darauf.
In meiner Führungsrolle empfand ich dabei als spannendste Aufgabe, meinem Team eine starke Führungsperson zu sein und auch in herausfordernden Zeiten zu funktionieren. Ich hoffe auch, dass mir das oft gelungen ist.
Für mich verläuft der Prozess von innen nach außen: Um gute Marketingkommunikation machen zu können, müssen wir bei uns selbst, dem Team und dem Bereich beginnen. Danach können wir uns sukzessive den fachlichen Themen widmen.
Das eigene Team und die Menschen dahinter sehe ich dabei als Basis für eine gute Marketingkommunikation an. In einem ersten Schritt habe ich also meinen Fokus auf das Team gelegt und darauf geachtet, dass sie ihren Kopf für Projekte frei bekommen.
Fixe Bestandteile dieses Prozesses sind für mich ganz klar die psychologische Sicherheit, Zuverlässigkeit, Struktur und Klarheit, der Sinn bzw. die Bedeutung jedes persönlichen Beitrags und das Aufzeigen der Auswirkungen auf das Endergebnis.
Aus diesem Grund haben wir uns sehr schnell eine neue Struktur aufgebaut und verschlankte, schnellere Prozesse etabliert. Ein guter Zeitpunkt, um uns Schritt für Schritt ein agileres Mindset anzueignen, als wir es bisher im Konzern gelebt haben.
In einem zweiten Schritt haben wir unsere Ziele, unsere Strategie und unsere operativen Tätigkeiten dann an die neue Situation angepasst.
Wir haben unsere bisherigen Kommunikations- und Marketingziele nach der ersten Schockstarre sehr schnell und detailliert adaptiert. Inspirierender Content oder Preiskommunikationen waren durch das Grounding plötzlich nicht mehr relevant. Die Bedürfnisse unserer Zielgruppen sowie Kundinnen und Kunden haben sich von einem Tag auf den anderen verändert. Es entstand ein großer Bedarf an Informationen zu Service und Sicherheit, wie etwa Auskünfte zu gestrichenen Flügen, Umbuchungs- und Rückerstattungsoptionen, Einreisebeschränkungen oder Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen.
Wir haben unsere Marketingstrategie adaptiert und im Besonderen für die intern betitelte „Ramp Up“-Phase geschärft. Diese Strategie haben wir auf drei Säulen aufgebaut:
- Service und Sicherheit: Indem wir sämtliche Maßnahmen entlang der kompletten Journey aufzeigen, die wir gemeinsam mit unseren Partner/innen gesetzt haben, um sicheres Reisen zu ermöglichen.
- Reiseinformationen: Informationen zu Einreisebestimmungen, flexiblen Konditionen, neuen Services, unserem aktuellen Netzwerk und Ähnlichem bereitstellen.
- Marke: Den Wert, den dieses Unternehmen für die Wirtschaft, den Standort und die Menschen in Österreich und international hat, aufzeigen.
3. Eine erfolgreiche operative Umsetzung braucht immer auch viele Menschen. Ist es jetzt in einer Krisensituation leichter oder schwieriger geworden, das notwendige Engagement der Kolleginnen und Kollegen für eine gemeinsame Arbeit an der Marketingkommunikation zu gewinnen?
Zuerst möchte ich sagen, dass es für mich Ehre und Verpflichtung zu gleichen Teilen ist, für ein österreichisches Traditionsunternehmen wie Austrian Airlines zu arbeiten.
Und wenn man mitverfolgt hat, wie sich die Mitarbeiter/innen unseres Unternehmens in den letzten Monaten oder auch in vergangenen Krisen verhalten haben, dann bin ich wohl nicht der Einzige in diesem Unternehmen, der so denkt. Hier arbeiten besondere Menschen mit einer enormen Leidenschaft für ihren Beruf, Identifikation mit ihrem Unternehmen und einem außerordentlichen Verständnis für die Dienstleistung, die sie gegenüber österreichischen und internationalen Reisenden tagtäglich leben.
Selbstverständlich sind wir alle aber auch „nur“ Menschen und lernen uns sowie unser Verhalten und den Umgang mit solchen Krisen neu kennen. Es ist menschlich, in diesen Situationen Angst zu haben oder sich Schreckensszenarien auszumalen. „Wie lange wird diese Krise noch dauern? Habe ich morgen noch einen Job? Kann ich meinen finanziellen Verpflichtungen nachkommen?“ Genau diese Gedanken blockieren uns in unserer täglichen Arbeit.
Ob es in einer Krisensituation leichter oder schwieriger ist, das Team zu motivieren und Engagement zu treiben, kann ich so nicht sagen. Mein persönlicher Anspruch ist es sowohl in Krisen als auch in vermeintlich einfacheren Zeiten, gemeinsam mit meinem Team sehr gute Leistungen auf den Boden zu bringen. Was ich aber sagen kann ist, dass die Situation einfach eine andere ist und ich mir als Führungskraft aktuell andere Fragen stelle, als zuvor. So etwa: „Wie schaffe ich es, dass mein Team den Kopf wieder frei von Angst bekommt? Wie kommen wir wieder in eine aktive Rolle und übernehmen das Steuer? Und wie schaffen wir wieder Vertrauen in uns und unsere Fähigkeiten?“.
Grundsätzlich bin ich davon überzeugt, dass Führungskräfte in Krisenzeiten den Unterschied ausmachen. In meinen Augen sind sie mehr denn je gefordert, Haltung zu zeigen, Werte zu verkörpern, Selbstreflexion zu betreiben und eine Vorbildfunktion zu leben. Sie müssen in der Lage sein, einen Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen das Team frei von Angst und Sorgen agieren kann. Einen Rahmen, der ihnen Struktur und Orientierung bietet, um sich dann wiederum auf die wesentlichen Themen konzentrieren zu können.
Dazu braucht es meiner Meinung nach intensive, authentische, ehrliche und mutige Marketingkommunikation. In meinem Team war der Informationsbedarf sehr hoch, genau wie der Wunsch nach Perspektive.
Wenn man sich dessen bewusst ist, dann stellt man sich in meinen Augen überhaupt nicht die Frage, wie man Mitarbeiter/innen motivieren kann. Die Motivation muss intrinsisch erfolgen. Als Führungskraft kann ich daher nur den Rahmen geben und das Team dabei unterstützen, sich weiterzuentwickeln und zu wachsen.
Es freut mich sehr, dass wir in unserem Team ein vertrauensvolles, offenes Miteinander pflegen. Dadurch haben sich einige Teammitglieder in der Krise auch gegenseitig zugehört und geholfen.
Ich bin sehr stolz auf mein Team und auf das, was wir gemeinsam in den letzten Monaten geschafft haben. Ich habe das Gefühl, dass wir uns sogar schneller weiterentwickelt haben und deutlich mehr auf den Boden gebracht haben, als vor der Krise. Die nächste Herausforderung wird für mich aber sein, diese gestärkte Resilienz dauerhaft zu festigen.
4. Welche Themen und Bereiche sehen Sie als die primären Herausforderungen in der Markensteuerung und Marketingkommunikation der nächsten Jahre? Worauf möchte oder muss sich Austrian Airlines in Ihren Augen fokussieren?
Die größte Herausforderung für die komplette Airline-Industrie (und verwandte Branchen) wird es sein, das Überleben in dieser Krise sicher zu stellen – gerade mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen in Europa und der Welt. Wir stoßen immer häufiger auf neue Einschränkungen und unklare Reiserichtlinien. Nicht nur für uns stellt dies natürlich ein Problem dar, sondern auch für unsere Kundinnen und Kunden. Es zeichnet sich eine gewisse Verunsicherung oder sogar Angst ab, die wir natürlich auch erkennen und nachempfinden können. Denn ehrlicherweise war das Reisen schon mal einfacher.
Nichtsdestotrotz lebt die Reiselust in uns ja weiter. Auch wenn sich laut Studien noch rund 80 % der Personen verunsichert und verängstigt fühlen, wenn es um Reisen in ferne Länder geht, sind wir der festen Überzeugung, dass wir in einem stetigen Prozess und mithilfe guter Marketingkommunikation in den kommenden Monaten das Gleichgewicht wiederherstellen und sogar umdrehen können.
Primärerer Fokus in der Marketingkommunikation wird daher sein, wieder Vertrauen in die Marke zu schaffen, Aufklärungsarbeit zu leisten und Informationen zu unseren gesetzten Maßnahmen entlang der Reisekette und neuen Services zu gewährleisten. Wir haben uns in den letzten Monaten mit Lufthansa und SWISS, aber auch mit unseren Partner/innen, wie etwa der Flughafen Wien AG, intensiv die komplette Reisekette angesehen und sehr zügig konkrete und gute Maßnahmen implementiert, um das Ansteckungsrisiko beim Reisen drastisch zu minimieren. An dieser Stelle möchte ich aber auch erwähnen, dass diese Maßnahmen unsere Passagierinnen und Passagiere nicht davon befreien, Selbstverantwortung zu übernehmen und sich rücksichtsvoll zu verhalten. Meiner Meinung nach kann es nur klappen, wenn wir uns alle an die Richtlinien halten, Maßnahmen nutzen und umsichtig agieren.
In den letzten Monaten haben wir innerhalb der Lufthansa Gruppe sehr schnell viele innovative Services entwickelt, die unseren Kundinnen und Kunden mehr Sicherheit geben sollen. Dazu zählen unter anderem flexiblere Ticketkonditionen, die ein einfacheres Umbuchen von Tickets ermöglichen, oder Versicherungspakete, mit denen wir unseren Kundinnen und Kunden ein Rückflugversprechen geben wollen. Zudem die Option, den Nachbarsitz ab 35 € dazu zu buchen und somit mehr Freiraum zu genießen. Wir sind aber mit unseren Ideen noch lange nicht am Ende. Es wird demnächst noch ein paar interessante neue Produkte geben.
Wir sehen uns aber natürlich auch andere Bereiche an und prüfen, wie wir zum Beispiel unsere Marketingkommunikation und Markenwerte entlang der relevanten Touchpoints effizienter und effektiver gestalten können. Persönlich finde ich, dass es uns bisher nicht immer gelungen ist, unsere Markenwerte und besonders die „Austrianess“ entlang der zielgruppenrelevanten Touchpoints auf den Boden zu bringen.
Mir ist wichtig, die Markenwerte und Botschaften in Zukunft noch stringenter entlang der kompletten Customer Journey spürbar zu machen. Manche Werte eignen sich gut, um sie anschaulich und proaktiv zu platzieren. Andere hingegen nur unterschwellig, schaffen aber positive Emotionen und runden das Markenerlebnis ab. Alleine das Bewusstsein dafür bringt uns aber schon einige Schritte weiter.
Für mich muss eine Premiummarke drei Punkte erfüllen:
- Services (Produkte) bieten, die sich ohne Kompromiss an den Bedürfnissen der Kundinnen und Kunden orientieren.
- Authentische, ehrliche, interaktive, emotionale und menschliche Kommunikation, die kontextualen Mehrwert bietet und menschenzentrierte Kundenerlebnisse schafft.
- „Proof of concept“ tagtäglich bei jeder Kundin und jedem Kunden in der versprochenen Qualität, Flexibilität und Schnelligkeit abliefern.
5. Erwarten Sie eine Verschiebung in der Bedeutung der unterschiedlichen Kanäle, Touchpoints und Disziplinen? Was wird wichtiger werden und was voraussichtlich an Bedeutung verlieren?
Im Laufe der Zeit hat es eigentlich immer Veränderungen und Schwankungen in der Bedeutung einzelner Touchpoints und Kanäle gegeben. Neue Möglichkeiten und Kanäle wurden geboren, während andere auch zur Gänze verschwunden sind. Ich denke, das wird auch in Zukunft so sein.
Wir dürfen dabei aber das Wesentliche nicht vergessen: Es ist unsere Philosophie, Marketingkommunikation von Menschen für Menschen zu schaffen und wir wollen diesen Menschen Mehrwert stiften.
Unsere Zielgruppen sind im stetigen Wandel und momentan schneller denn je. Aus meiner Sicht ist das Bewusstsein dieser Gegebenheit ein erster Schritt für jede Marketingverantwortliche und jeden Marketingsverantwortlichen. Natürlich kommt dann der persönliche Anspruch hinzu, zeitgemäße und zukunftsträchtige Marketingaktivitäten zu schaffen.
Daran anknüpfend, und die jeweilige Zielsetzung der Marketingkommunikation im Auge behaltend, empfehle ich, die relevanten Touchpoints laufend zu bewerten und auf die entsprechende Zielsetzung auszurichten. Selbstverständlich wird es Touchpoints geben, die über einen längeren Zeitraum einen vermeintlich fixen Platz genießen werden.
Pauschal will ich allerdings keinen Kanal oder Touchpoint ausschließen oder dem Untergang weihen. Jeder Touchpoint muss sich verbessern, effektiver und effizienter werden und im speziellen in eine starke Omnichannel-Strategie eingebettet sein.
Schon klar, dass besonders die digitalen Kanäle derzeit einen Hype erleben. In vielen Bereichen sind diese Touchpoints günstiger, schneller, messbarer und durch KI (Künstliche Intelligenz) auch vermeintlich schlauer. Das ist auch gut so. Natürlich haben auch wir einen großen Fokus darauf, unsere Marketingkommunikation automatisierter und vernetzter bzw. KI-gesteuert zu vollziehen.
Nichtsdestotrotz empfinde ich Print- oder Live Marketing weiterhin und in speziellen Fällen als hoch relevant. Warum? Ein Beispiel: Seit ich den Großteil meiner Arbeit von zu Hause aus verrichte, lese ich während meiner Mittagspause häufiger das Flugblatt, das mir gefühlsweise täglich zugestellt wird. Vor der Krise wanderte es, wenn ich spätabends vom Büro heimkam, fast immer direkt in den Papierkorb. Dabei ist mir eine sehr kreative Anzeige eines Baumarktes untergekommen, die auch in den sozialen Medien für Furore gesorgt hat.
Grundsätzlich reizt es mich immer wieder, genau aus dieser „Digitalen Massenbewegung“ mit schlau durchdachten, sinnstiftenden Akzenten regelmäßig auszubrechen. Manchmal wollen Menschen anderen Menschen direkt in die Augen sehen, sozial interagieren, ihre Botschaft direkt platzieren und ihr Anliegen nicht über eine Kamera oder Technologie vorbringen. Und es soll auch schon mal passiert sein, dass sich die Menschen dann für diese Menschlichkeit mit Markentreue revanchieren.
Foto Portrait: © Austrian Airlines / Michael W. Pollaschak
Fotos: © Austrian Airlines