Markenentwicklung für NEOS – Österreichs Bürger/innen-Bewegung
Derzeit erfinden sich auch traditionelle österreichische Parteien neu. Ist das ein neuer Trend in der österreichischen Politik? Oder will man hier wie dort damit darüber hinwegtäuschen, dass es keine echten Inhalte gibt, an denen konstruktiv gearbeitet wird?
Die Politik drückt sich vor echten Reformen, Regierungsparteien täuschen Arbeitseifer vor, mit dem Ziel, den persönlichen Einflussbereich möglichst groß zu halten, differenzierte Diskussionen über komplexe Inhalte in der Politik sind nicht mehr möglich: Denn echte Inhalte, konkrete Vorhaben, echte Überzeugungen kommen Politikerinnen/Politikerin zunehmend abhanden. Nicht so bei NEOS: Inhalte sind in Hülle und Fülle vorhanden, Reformkonzepte liegen detailliert ausgearbeitet auf dem Tisch, Vorschläge für Gesetzesänderungen wurden teils mehrfach eingebracht. Damit hebt sich NEOS wohlwollend vom Mitbewerb ab. Trotzdem oder gerade deswegen gibt es auf die wichtigste Frage noch keine eindeutige Antwort: Wofür steht NEOS langfristig? Wie sieht das „neue Österreich“ aus, das die Marke verspricht?
NEOS hat mit Unterstützung von Brainds von Oktober 2015 bis Juni 2016 die langfristige Markenperspektive erarbeitet. Im Folgenden beschreiben wir die fachlichen Hintergründe des Branding-Projekts und stellen Fragen an den Auftraggeber, Feri Thierry, Bundesgeschäftsführer NEOS und den Markenberater Thomas Hotko, Geschäftsführer Brainds.
Was war das primäre Ziel des Markenentwicklungsprozesses?
NEOS: Wofür steht NEOS? Was ist unsere „Reasonwhy“? Was ist der konkrete Markenkern von NEOS? Wie können wir dem Wähler bzw. der Wählerin klar machen, wofür wir uns einsetzen? Im Rahmen des Organisationsprojekts KRAFTWERK sollten diese Fragen in einem Markenentwicklungsprozess beantwortet werden. Unterstützt hat uns dabei die externe Markenberatung „Brainds“, die uns bei der Kristallisation des Markenkerns NEOS zur Seite stand. Im Rahmen dieses Prozesses sollte die Rolle als Bürger/innenbewegung nach innen wie nach außen gestärkt werden und NEOS auf die nächsten großen Herausforderungen (vor allem in Hinblick auf das Wahljahr 2018) vorbereitet werden. Partizipation ist ein zentrales Element von NEOS und dies wurde auch im Rahmen dieses Prozesses – unter anderem durch Einbeziehung von mehr als 800 Stakeholder und Veranstaltungen in ganz Österreich – gelebt.
Bedeutet der Markenentwicklungsprozess, dass NEOS seine alten Kernwerte verlässt?
NEOS: Nein, ganz im Gegenteil. Unsere Kernwerte Freiheitsliebe, Eigenverantwortung und Nachhaltigkeit wurden nicht angetastet, auch an den Schwerpunktthemen wird nicht gerüttelt. Das macht aber noch nicht den Markenkern von NEOS aus. Wie dieser Markenkern konkret aussehen soll, wurde von Oktober 2015 bis Juni 2016 konkret erarbeitet. Dabei haben wir auch Markenattribute definiert, die wir anstreben und bereits leben: mutig, innovativ und freiheitsliebend.
Weshalb hat der Prozess so lange gedauert?
Brainds: Der Prozess hat Ende Oktober 2015 begonnen und wurde im Juni 2016 termingerecht abgeschlossen. Die Dauer von rund 7 Monaten ist im Vergleich zu anderen Markenwicklungen eher kurz. Größere Unternehmen oder Institutionen benötigen oft 1 bis 1,5 Jahre für die Festlegung ihrer Markenstrategie.
NEOS steht u. a. für Partizipation. War der Markenentwicklungsprozess auch partizipativ aufgesetzt? Wenn ja: Wie kann man sich das vorstellen?
Brainds: Ja, es gab eine Reihe sehr partizipativer Elemente in diesem Prozess. In der Erhebungsphase wurden gezielt qualitative Interviews und Fokusgruppen durchgeführt. Zudem wurden die laufenden Events, wie beispielsweise Mitgliederversammlungen oder Kraftwerk-Workshops, in ganz Österreich für das Markenprojekt genutzt. Weitere Partizipationselemente war insbesondere die breite Optionendiskussion, bei der wir mehrere Varianten für den Markenkern und die Positionierung diskutiert haben. Insgesamt haben wir über 800 Personen aktiv in diesen Prozess einbezogen.
Wie wurde der Auftrag vergeben und weshalb an Brainds?
NEOS: Der Auftrag wurde offiziell ausgeschrieben; drei Agenturen wurden eingeladen, ihre Ideen und Angebote zu präsentieren. Brainds lieferte das insgesamt beste Angebot und wurde unter anderem wegen der hohen Erfahrung mit partizipativen Markenprojekten als Partner ausgewählt.
Was bringt der Markenentwicklungsprozess für die NEOS-Parteispitze und für die NEOS-Wähler/innen und –Aktivist/innen?
NEOS: Der Übergang von 2015 auf 2016 hieß auch, dass es einen Wechsel vom Kampagnen-Modus hin zu einer nächsten Wachstumsetappe geben sollte. Dass auch wieder der Blick nach innen gerichtet werden musste. In diesen Monaten wurde daher ein hohes Maß an Aufmerksamkeit auf die positive Kultur in einer immer größer werdenden Organisation gelegt. Ziel war, als „ein NEOS“ diese Entwicklung voranzutreiben. Nur gemeinsam lässt sich geschlossen in die Zukunft schauen. Daran musste von allen gearbeitet werden – damit die nächste ganz große Herausforderung, die nächsten Nationalratswahlen, erfolgreich in Angriff genommen werden kann.
Brainds: Der Markenentwicklungsprozess brachte vor allem Klarheit über die langfristige Ausrichtung der Marke NEOS bis 2025, aus der auch konkrete Handlungsideen für die Zukunft abgeleitet werden können. Dabei sind die nächsten Nationalratswahlen – aus langfristiger Markenperspektive – nur ein weiterer Meilenstein am Weg. Markenprozesse bauen ein System auf, welches weiche Faktoren, wie Werte und Haltungen, mit faktischen Kompetenzen und Leistungsvorteilen verbindet und zugleich die Marktbedürfnisse und Motive der Kunden_innen (Wähler_innen) einbezieht. Aus diesem System heraus, lassen sich auch Visionen und Strategien zur Erreichung von Zielen besser diskutieren und ableiten. Der Begriff Markenkern steht dabei für die stärkste „Verdichtung“ dieses Markensystems. Mit dem „Markenkern“ wird versucht, das gesamte System mit einem Satz oder/und einem Bild ausdrücken zu können (kommunikative Verdichtung des Markensystems).
Welche sind die größten Herausforderungen bei der Markenbildung für eine Partei? Was ist der Unterschied zu herkömmlichen Markenprojekten?
Brainds: Markenbildung für eine Partei ist naturgemäß hoch komplex, da weit mehr Beeinflusser/innen und Entscheider/innen in den Prozess einbezogen werden wollen und sollen als in üblichen Markenprojekten von Unternehmen. Die Herausforderung lag daher auch im Prozessdesign selbst. Ein anderes Problem ist, dass durch die politische Dimension die Arbeit auch viel stärker vom „Tagesgeschehen“ beeinflusst oder auch „gestört“ wird, als dies bei Markenentwicklungen für Unternehmen oder Produkte der Fall ist. NEOS brachte jedoch – im Gegensatz zu vielen anderen Organisationen – ein hohes systemisches Verständnis mit und förderte selbst die Partizipation. Dadurch war der Markenprozess gut machbar und ähnlich wie jener von Stadt- und Regionenmarken aufgebaut, der auch viele unterschiedlichste Stakeholder-Gruppen „unter einen Hut“ bringen muss.
Worin lagen die größten Herausforderungen oder vielleicht auch Gefahren für NEOS in diesem Projekt?
NEOS: Die größte Herausforderung war gleichzeitig die größte Chance: Die Partizipation der vielen NEOS Aktivist_innen. Um auf die Kraft und das Engagement aller Aktivist_innen in ganz Österreich zurückgreifen zu können, war ein präzises Projektmanagement notwendig. Durch Fokusgruppen, Veranstaltungen in den Bundesländern und diversen Umfragen unter verschiedenen Zielgruppen wurden insgesamt über 700 Interessierte NEOS eingebunden. Das ist gelungen und damit haben wir NEOS als Bürger_innenbewegung nach innen und nach außen weiter gestärkt.
Welche konkreten Schritte folgen nach der Markenentwicklung?
Brainds: Markenentwicklungen beginnen immer mit dem strategischen Teil. Dies war auch hier der Fall. Die nächsten üblichen Schritte nach Abschluss einer Markenentwicklung sind die Implementierungen nach innen (Entitäten, Mitarbeiter/innen, Partner/innen, Bewegung) auf Verständnisebene: „Was kann ich / soll ich jetzt tun?“ Zum anderen kann auch die Kommunikation und die Gestaltung von Touchpoints stringent ausgebaut werden. Stichwort: Marke als „Leitstern“ der Kommunikation.
NEOS: Der Markenentwicklungsprozess endete im Juni 2016. Abgeschlossen wurde der Prozess durch einen Beschluss des Erweiterten Vorstands, der nach unseren Statuten das höchste strategische Gremium von NEOS ist. Nun sind wir dabei, die Ergebnisse in unsere politische Arbeit einfließen zu lassen.
Wie sieht das Ergebnis aus?
NEOS: Wir positionieren uns ganz klar als Reformbewegung für eine offene Bürger/innengesellschaft. Unsere Brand-Mission ist es, eine friedliche Bürger/innenrevolution für ein neues, zukunftsweisendes Österreich anzustoßen. NEOS ist dabei Plattform und Hebel für Menschen, die sich für den Erhalt und die Weiterentwicklung einer offenen, demokratischen Gesellschaft engagieren. Unsere Vision für 2025 lautet: NEOS unterstützt eine Million Bürger/innen, die Österreich bis 2025 erneuert haben und lebendig halten. Und wir haben auch ein gesellschaftliches Ziel: Politik bewegt wieder und macht auch Spaß.